Regionalbischöfin von Berlin,
Ulrike Trautwein
Wort und Klang wirklich verschränkt
„Musica ist das beste Labsal eines betrübten Menschen, dadurch das Herze wieder zufrieden, erquickt und erfrischt wird.“ (Martin Luther, Tischreden von der Musica, Dr. Martin Luthers sämmtliche Werke, Bd 62, Frankfurt, Erlangen 1853, 308.)
Grusswort
Mit der Frage nach Gottes Gegenwart in der Musik, sowohl jenseits als auch im Bezug auf die Semantik von Sprache und Worten, berührt die kompositorische Arbeit von Uwe Steinmetz eine der ästhetischen und spirituellen Grundfragen des Protestantismus in Deutschland und darüber hinaus. Für Luther, und nicht nur für die wortkonservativ-puritanischen Spielarten des Protestantismus, war die Musik erst in zweiter Linie göttliches Licht, als Verstärkung und Illustration, als Einübung dem Wort von Bibel und Schriftauslegung nachgeordnet. Aber an der Basis, in der Volksfrömmigkeit gehörte doch das gemeinsame Musikmachen zum Erfolgsmodell globalen, reformatorischen Glaubenslebens par excellence. Praxis und Lehre, Folklore und Akademie reiben sich durch die Kirchenmusikgeschichte selten so intensiv, wie in der Frage nach der körperlichen und nonsprachlichen Wirkungen von Musik. So bleibt auch heute noch der Eindruck, Protestant*innen pflegten eine Vorliebe für das gesprochene Wort, bei einer Skepsis, wenn nicht Ablehnung gegenüber den sinnlichen Wirkungen musikalischer Klänge.
Neue und notwendige Striche durch diese Rechnung einer dualistischen Sichtweise macht die Unternehmung von Uwe Steinmetz. Zuerst: Die Freiheit und das Spontane in der nichtsprachlichen oder zumindest anderssprachlichen, aber eben gleichberechtigen spirituellen Ausdrucksform des Freien Jazz und der Improvisation stellt Steinmetz in seiner Komposition auf Augenhöhe mit tiefen, dichten, theologischen Lehrsätzen und -texten, vorgetragen von hochkarätigen Sprechenden. Dann: Kommt eine anspruchsvolle Verschränkung von Texten Martin Luthers und Dietrich Bonhoeffers und mit Texten von Christian Lehnert, dazwischen auch Auszüge von John Miltons Das Verlorene Paradies und, warum nicht, Spiritualitätstheorie von Sting zustande.
Damit traktiert der Künstlerliturg in einem Rundumschlag die Sola-Schriften, eine Gnade, ein Glaube, ein Herr Jesus Christus, und faltet sie liturgisch und musikalisch neu auf. Deutsch trifft auf Englisch, Poesie auf Prosa, Doktrin auf Praxis, Text auf Musik. Als Form greift dabei das wiederkehrend Alte des Messordinariums in neue, persönliche Ausdrucksformen von Berliner*innen in den Einlassungen Klage, Bitte, Segenswünsche. Also progressiv-interaktiv und zugleich traditionell – was hätte Luther zu dieser Variante gesagt? Schließlich: Trifft sich aber auch Luther der Musiker und Liedermacher mit Bach und mit Improvisation. Protestantisch-klangliche Identität zieht von der Reformation über den Barock bis in den Moment hinein.
Die Kompositionen und die Arrangements von Uwe Steinmetz wirken auf mich nicht wie ein Vortragen von Musik, nicht wie Vorspielen, sondern wie ein langes, meditatives Gebet, cross-Genre und gewissermaßen mit mixed materials, also ein gemeinsames, liturgisches Durchspielen. Sie laden mich ein, gemeinsam mit anderen herauszufinden, was sich zwischen den Texten und Klängen und in dem Nebeneinander ereignet – ganz persönlich und tiefenrührend. Für mich also ein Highlight, wie es hervorragend in die liturgische Landschaft und Experimentieranordnung Berlin passt. Dazu verwurzelt in der Biographie und Praxis des Künstlers verwurzelt, tiefprotestantisch-kritisch und nicht zuletzt ein Labsal in der Dauerkrise. Selbstverständlich und begeistert übernehme ich für diese Jazzliturgie die Schirmherrschaft, bedanke mich herzlich bei Planenden, Aufführenden und Teilnehmenden und wünsche Gottes reichen Segen für ein gelungenes, dialogisches Experiment.